"mensch fair tier" verfasst offenen Brief an den Deutschen Ethikrat

Ein offener Brief an den Deutschen Ethikrat von „mensch fair tier“, einem Bürgerbündnis für den Schutz der Tiere, insbesondere der sogenannten Nutztiere. Dieses Bündnis ist deutschlandweit aufgestellt und aktiv. Die Autorin dieses Briefes, Frau Susanne Kirn-Egler hat hier den richtigen Ton getroffen und viele Quellen angeführt, warum eine Ethik ohne Tierethik nicht denkbar ist. Wollen Sie mehr über „mensch fair tier“ wissen, besuchen Sie die Homepage diese Bürgernetzwerkes ( www. menschfairtier.de)

 

Offener Brief an den Deutschen Ethikrat: Geht Ethik ohne Tierethtik?

 

Sehr geehrte Damen und Herren des Deutschen Ehtikrats,

 

Ich wende mich an Sie, die Sie neu die Ämter des Deutschen Ethikrats bekleiden, mit meiner Frage, ob hierzulande Ethik auch Tierethik mit einschließt.

Nicht nur der zeitgenössische Philosoph und Publizist Richard David Precht ist der Ansicht dass es in den westlichen Industrienationen mehr Massentierhaltung und mehr industrielles Tierelend gibt als je zuvor. Gut versteckt vor der Öffentlichkeit arbeitet diese Maschinerie heftiger denn je. (Vgl. Precht, 2016, S. 14)

Von dem Theologen und Politiker Prof. Erich Grässer (1927 – 2017) sind diese Worte überliefert: "Was wir heute erleben, ist ein mit dem Rechenstift ausgeklügeltes schreckliches Höllenspiel, in dem wir unsere Nutztiere in der Massentierhaltung zu Tiermaschinen herabstufen. Die Übermenge an Eiern, Fleisch und Butter, die die westlichen Wohlstandsgesellschaften auf diese Weise produzieren, ist mit menschenunwürdiger Tierquälerei bezahlt. Gegenüber dieser überall straflos praktizierten Ungeheuerlichkeit liest sich Albert Schweitzers Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben wie eine Botschaft von einem anderen Stern. Und eine Kirche, die zu dem allem schweigt, erklärt damit den Bankrott ihrer Barmherzigkeitspredigt!"

Der Philosoph Precht ist desweiteren der Meinung, dass in Wissenschaften, wie der Paläoanthropologie, der Primatologie und der Verhaltensökologie, in den letzten beiden Jahrzehnten viel geschehen ist, das es zu berücksichtigen gilt: „Die akademische Debatte über eine angemessene „Tierethik" hat stark Fahrt aufgenommen." (Vgl. Precht, 2016, S. 14 f)

Schon Franziskus von Assisi hat seinerzeit erkannt, was die heutige Tierverhaltensforschung belegt: „Alle Geschöpfe der Erde fühlen wie wir, alle Geschöpfe streben nach Glück wie wir. Alle Geschöpfe der Erde lieben, leiden und sterben wie wir, also sind sie uns gleich gestellte Werke des allmächtigen Schöpfers – unsere Brüder."

Der derzeitige Papst Franziskus nennt sich nach Franziskus von Assisi, dem Schutzpatron der Tiere. Rainer Hagencord schreibt in seinem Buch „Gott und die Tiere" (Ausgabe 2018), über die Enzyklika „Laudato si" (2015) von Papst Franziskus, dass diese Schrift „dem Namen von Papst Franziskus alle Ehre" macht. Der Papst erteilt in dieser Enzyklika einem vermeintlich biblisch begründeten Anthropozentrismus eine deutliche Abfuhr: „Der letzte Zweck der anderen Geschöpfe sind nicht wir. Doch alle gehen mit uns ... auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist, in einer transzendenten Fülle, wo der auferstandene Christus alles umgreift und erleuchtet." (Laudato si, 83) An anderer Stelle schreibt der Papst: „Da alle Geschöpfe miteinander verbunden sind, muss jedes mit Liebe und Bewunderung gewürdigt werden..." (ebenda, 42)

Aktualität besitzt auch der EKD-Text 133 „Nutztiere und Mitgeschöpf! Tierwohl, Ernährungsethik und Nachhaltigkeit aus evangelischer Sicht." (September 2019). Aus der Schlussbemerkung (S. 134) dieses Textes zitiere ich Folgendes: „Die Achtung der Würde des Tieres als Mitgeschöpf und eine Ethik des Genug, die tief in der christlichen Tradition verwurzelt sind, begründen das Engagement der Evangelischen Kirche für eine nachhaltige Nutztierethik – damit alle Geschöpfe mit der ihnen zugedachten Würde leben und auf ihre je eigene Weise ihren Schöpfer loben können, wie es das Wort aus Psalm 150 sagt: »Alles, was Odem hat, lobe den Herrn.«

Und doch musste Erich Grässer heutzutage trotzdem noch feststellen: „In Wahrheit ist der Mensch gefährlichster Ausbeuter und größter Zerstörer. Und der Würde des Menschen, diesem hohen Verfassungsgut, dessen Unantastbarkeit unsere Politiker so gerne betonen, schlägt die gigantische industrialisierte Massentierquälerei brutal ins Gesicht. Es ist kein Zeichen von Menschenwürde, schwächere Lebewesen auszubeuten und zu quälen."

Sehr geehrte Damen und Herren des deutschen Ethikrates, ich bitte Sie, sich für eine neue Tierethik einzusetzen und für einen artgerechten, lebensfreundlichen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen. Warum nicht den gigantischen Fleischkonsum thematisieren und in Frage stellen? Mit welcher ethischen Rechtfertigung können Kühe als Hochleistungsmilchmaschinen gehalten werden? Mit welcher ethischen Rechtfertigung dürfen Kälber, die nicht abgestillt sind und kaum sicher auf den Beinen stehen können, auf grausame, tagelange Transporte geschickt werden ohne angemessene Nahrung und Versorgung? (Sehen sie bitte hierzu im Anhang meinen „Offenen Brief an den Herrn Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg Peter Hauk und den Herrn Minister für Soziales und Integration Baden-Württemberg Manne Lucha")

Der ebenfalls zeitgenössische Philosoph und Autor Helmut F. Kaplan bezeichnet in seinem Buch „Tierrechte – Das Ende einer Illusion? Warum es die Tierrechtsbewegung so schwer hat" das Jahr 1975, als Peter Singers Buch „Die Befreiung der Tiere" erschien, als den ungefähren Beginn der heutigen Tierrechtsbewegung (abgesehen von Aussagen und Tätigkeiten vieler tierbewegter, beeindruckender Menschen früherer Epochen, wie seinerzeit der oben zitierte Franz von Assisi). Und was ist seitdem passiert? Es ist doch noch schlimmer geworden. Soviel grausame Tierqual in Massenställen, in Schlachthöfen, auf Tiertransporten in EU und Drittländer sind in der letzten Zeit bekannt geworden. Deutschland gehört zu den größten Tierexporteuren Europas und zu den EU-Staaten mit den größten Schlachtfabriken.

Zur Zeit der Covid-19-Pandemie bekommt diese massenhafte „(Be-)Nutzung" von Tieren noch eine weitere, höchst bedenkliche und gefährliche Dimension. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, auch den im Anhang von mir verfassten und bereits im April 2020 verschickten „Offenen Brief an die baden-württembergischen Herren Minister Hauk und Lucha" zu lesen, in dem ich zusätzlich auch auf die gesundheitlichen Auswirkungen für Menschen und Tiere im Zuge meiner Kritik an dieser grausamen industriellen Tierhaltung hierzulande eingehe.

Einst meinte der geniale Albert Schweitzer: "Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht herein komme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen." Bitte setzen Sie sich als neu berufener Deutscher Ethikrat dafür ein, dass Alberst Schweitzers Beobachtungen und Befürchtungen endlich der Vergangenheit angehören! Er würde es Ihnen danken. Sie als Berufene des deutschen Ethikrates sehe ich als meine kompetentesten Ansprechpartner*innen im Hinblick auf eine zeitgemäße Tierethik an. Führen wir die akademische Debatte über eine zeitgemäße Tierethik mit aller Vehemenz und ohne Kompromisse, setzen wir gegen die „Ethik des Maßlosen" eine „Ethik des Genug" (siehe EKD-Text 133, Stellungnahme).

Ich hoffe auf Sie, dass endlich unsere Gesellschaft den fühlenden, empfindsamen, wehrlosen Lebewesen gerecht wird - welche milliardenfach unermessliche Qualen durch fragwürdiges menschliches Konsumverhalten, durch eine mechanistische, tierquälerische, tierausbeuterische Agrarindusrie ohne Mitgefühl für die Kreatur und durch ein völlig entgrenztes Gewinnmaximierungsstreben der Wirtschaft und des Handels, erleiden müssen – tagtäglich, stündlich, jede Minute, jede Sekunde.

 

Susanne Kirn-Egeler

Herrenberg, 11. Mai 2020