Offener Brief an Julia Klöckner

 

Hier der Inhalt des offenen Briefes der im Anschluss aufgelisteten Verbände an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Er nimmt Bezug auf die nächste Sitzung des Ausschusses für Agrarpolitik und Verbraucherschutz. Am 7.November 2019 werden die Mitglieder des Ausschusses auch über den Entwurf der Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutznutztierhaltungsverordnung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft ( Drucksache 587/19) beraten.

Die unterzeichnenden Verbände in alphabethischer Reihenfolge:

 

AKTION KIRCHE UND TIERE e.V., Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, Animal Equality Germany e.V., ANIMALS UNITED e.V., Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V., Ärzte gegen Massentierhaltung e.V., Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V., Bundesverband Tierschutz e.V., Bürgerinitiative LAHSTEDT-ILSEDE für TIER, MENSCH und UMWELT, Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V., Förderverein des Peter-Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V., Deutscher Tierschutzbund e.V., Greenpeace e.V., Landesbeauftragte für den Tierschutz in Niedersachsen, Landestierschutzverband Niedersachsen e.V., Landestierschutzverband Nordrhein-Westfalen e. V., Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., mensch fair tier, Partei Mensch Umwelt Tierschutz, Peta Deutschland e.V., Provieh e.V., Robbenzentrum Föhr, Tierärzte für Tiere, Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V., Tierhuus Insel Föhr e.V. und VIER PFOTEN

 

Der offene Brief:

 

 Kräfte bündeln –

landwirtschaftlich genutzte Tiere, wir sind in der Verantwortung

 

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.

Voisberger Weg 13

42489 Wülfrath

 

VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz

Schomburgstraße 120

22767 Hamburg

 

Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V.

Dircksenstraße 47

10178 Berlin

 

 

Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft

Frau Julia Klöckner

11055 Berlin

 

Offener Brief: Beendigung der rechtswidrigen Qualhaltung von Sauen

20. November 2019

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

 

Ihr Haus plant derzeit eine Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV).

Wie bereits in zahlreichen Stellungnahmen geäußert und in juristischen Expertisen und Gutachten festgestellt wurde, sind die geplanten Regelungen überwiegend tierschutzrechts- und verfassungswidrig.

 

Hiermit möchten wir Ihnen die wesentlichen Punkte noch einmal vor Augen führen, verbunden mit der Erwartung, dass sich das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) selbstverständlich an das deutsche Tierschutzrecht und an das Grundgesetz halten wird.

 

Im Hinblick auf die Breite der Kastenstände müsste der zur Diskussion stehende Verordnungsentwurf zur Änderung der TierSchNutztV dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Sachsen-Anhalt vom 24.11.2015 – 3 L 386/14 – und dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.11.2016 – 3 B 11/16 – Rechnung tragen. Demnach müssten Kastenstände so ausgestaltet sein, dass jedes Schwein ungehindert in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann. Der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Sachsen-Anhalt zufolge kann dies nur sichergestellt werden, wenn die Breite des Kastenstandes mindestens der Widerristhöhe des Schweines entspricht oder dem Tier die Möglichkeit gegeben wird, die Gliedmaßen ohne Behinderung in die beiden benachbarten leeren Kastenstände auszustrecken.

 

Der Verordnungsentwurf sieht nun vor, die betreffende Anforderung aus § 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV, auf die sich die Gerichtsentscheidungen beziehen, schlichtweg aus der TierSchNutztV zu streichen. Somit umgeht und missachtet das BMEL unmittelbar die Entscheidungen der Gerichte. Darüber hinaus wird hierdurch gegen das Verschlechterungsverbot verstoßen, das seit Aufnahme desStaatsziels Tierschutz in das Grundgesetz zur verfassungsrechtlichen Pflicht werden lässt, nicht hinter geltendes Recht zurückzugehen.

 

Zudem sieht der Verordnungsentwurf vor, für Kastenstände feste Breitenmaße zu bestimmen, die in den vorgeschlagenen Maßen nicht den von der Rechtsprechung mindestens geforderten Widerristhöhen der Sauen entsprechen, sondern darunter liegen. Zusätzlich ist vorgesehen, bereits genehmigten Kastenständen, die eine den Gerichtsurteilen zufolge unzureichende Breite aufweisen, eine Übergangsfrist von 15 bzw. in Härtefällen 17 Jahren einzuräumen.

 

Damit wird nicht nur verhindert, dass Sauen ungestört in Seitenlage ruhen können, was ein unmittelbarer Verstoß gegen § 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz ist, auch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, keine weitere Übergangsfrist mehr einzuräumen, wird komplett ignoriert. Das ist rechtswidrig. Das Bundesverwaltungsgericht hatte nämlich sowohl die Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt bestätigt als auch darüber hinaus konstatiert, dass eine Übergangsfrist für den Umbau der Kastenstände bereits für die Vorgängervorschrift von § 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV bestimmt worden war. Diese Frist ist bereits seit dem 01.01.1992 abgelaufen. Vor diesem Hintergrund wurde eine Fristverlängerung als unzulässig bewertet.

 

In Deutschland sind Kastenstandbreiten von nur 65 cm für Jungsauen und 70 cm für Altsauen üblich. Diese Maße sind weitaus geringer als die Widerristhöhe der darin befindlichen Sauen. Trotz der bestehenden Vorgabe, dass ein ungestörtes ausgestrecktes Liegen in Seitenlage möglich sein muss, wurden seit 1992 durchgehend rechtswidrig zu enge Kastenstände behördlich genehmigt. Eine Übergangsfrist, die 1988 begonnen und 1992 abgelaufen war, jedoch nie beachtet wurde, im Jahre 2019 entgegen der Rechtsprechung um weitere 15 bzw. 17 Jahre zu verlängern, bedeutet eine Übergangsfrist von insgesamt 46 bzw. 48 Jahren.

 

Die geplanten Regelungen zur Kastenstandhaltung konterkarieren augenscheinlich das verfassungsrechtlich verankerte Staatsziel Tierschutz. Aus dem Staatsziel Tierschutz ergibt sich das Optimierungsgebot, wonach das Wohlbefinden und die Unversehrtheit der Tiere zu schützen sind und die artgerechte Tierhaltung im rechtlich und faktisch möglichen Maße zu fördern ist. Hieraus folgt eine permanente staatliche Nachbesserungspflicht des Gesetz- und Verordnungsgebers im Hinblick auf die existierenden Tierschutzregelungen. Der in Rede stehende Verordnungsentwurf erfüllt keinen dieser Aspekte des Staatsziels Tierschutz, sondern missachtet die Vorgaben des Staatsziels gänzlich.

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, es ist nicht hinnehmbar, dass Millionen Schweine bis zu 17 weitere Jahre in Kastenständen stehen, die höchstrichterlich als illegal bewertet wurden. Es ist ein Skandal, dass Ihr Haus versucht, diesen Missstand durch eine rechtswidrige Vorgehensweise zu legitimieren. Die Gesellschaft wird nicht hinnehmen, dass entscheidende rechtliche Vorgaben gestrichen werden, anstatt sie umzusetzen. Das Tierschutzrecht würde hiermit ad absurdum geführt. Zudem erscheint bereits die Beibehaltung des Kastenstandes an sich tierschutzrechts- und verfassungswidrig vor dem Hintergrund mehrerer juristischer Darstellungen, welche zu dem Schluss kommen, dass der Kastenstand als Haltungssystem abgeschafft werden muss.

 

Weiter sieht der Verordnungsentwurf vor, dass eine Abferkelbucht, in der sich die Sau frei bewegen kann, eine Bodenfläche von mindestens sechseinhalb Quadratmetern aufweisen muss. Auch diesbezüglich ist eine Übergangsfrist von bis zu 17 Jahren vorgesehen. Sechseinhalb Quadratmeter, für die Sau inklusive ihrer Ferkel, haben sich in langjähriger Erfahrung mit freien Abferkelsystemen als unzureichend erwiesen, mindestens müssen allein für Sauen Größen von 7,5 qm und eine Gesamtbuchtengröße inklusive Ferkelnest von 9-10 qm vorgesehen werden. Zudem sind auch beim Abferkelbereich die Übergangsfristen aus genannten Gründen nicht mit Artikel 20a GG vereinbar.

 

Nach der fragwürdigen Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration ist die Verschlechterung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung nun die zweite Rechtsänderung innerhalb kürzester Zeit, welche den Tierschutzstandard in Deutschland eklatant absenken wird. Die laufende Normenkontrollklage zur Schweinehaltung durch das Land Berlin beinhaltet neben der Mastschweine- auch die Sauenhaltung und insbesondere die Haltung in Kastenständen. Die im Verordnungsentwurf dargelegte Neugestaltung der Sauenhaltung läuft Gefahr, durch ein Normenkontrollverfahren aufgehoben zu werden. Den Forderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher nach artgerechteren Haltungsformen ist mit einer Verschlechterung der Tierschutzvorgaben, die sogar Rechtsbrüche miteinschließt, ebenso wenig genüge getan, wie den Wünschen der Tierhalterinnen und Tierhalter nach langfristiger Planungssicherheit.

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, wir fordern Sie dringend auf, den Verordnungsentwurf komplett neu zu überarbeiten und die Haltung von Sauen in den nach rechtlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen tierschutzwidrigen Kastenständen zu beenden. Aus Tierschutzsicht wären maximal ein Jahr, um im Deckbereich die bereits lange bestehenden Vorgaben umzusetzen sowie maximal fünf Jahre, um im Abferkelbereich einen verfassungskonformen Zustand mit freier Bewegungsmöglichkeit für die Sauen herzustellen, angemessen. Die Formulierung, dass Schweine ihre Gliedmaßen in Seitenlage ungehindert ausstrecken können müssen, darf unter keinen Umständen gestrichen werden.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Claudia Preuß-Überschär Pressesprecherin

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.

 

Rüdiger Jürgensen Country Director Deutschland

VIER PFOTEN – Stiftung für Tierschutz

 

Jost-Dietrich Ort Stellvertretender Vorsitzender Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V.

 

Weitere mitzeichnende Organisationen

 

DEUTSCHER TIERSCHUTZBUND e.V.

Tierärzte für Tiere

Partei Mensch Umwelt Tierschutz

Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt

PROVIEH e.V. Robbenzentrum Föhr

Bundesverband Tierschutz e.V.

Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V.

ANIMALS UNITED e.V. PETA Deutschland e.V.

mensch fair tier

Landestierschutzverband Niedersachsen e.V.

Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

AKTION KIRCHE UND TIERE e.V.

Greenpeace e.V.

Landesbeauftragte für den Tierschutz in Niedersachsen

Arbeitsgemeinschaft für artgerechte Nutztierhaltung e.V.

Animal Equality Germany e.V.

Förderverein des Peter- Singer-Preises für Strategien zur Tierleidminderung e.V.

Ärzte gegen Massentierhaltung e.V.

Tierhuus Insel Föhr e.V.

Bürgerinitiative LAHSTEDT-ILSEDE für TIER, MENSCH und UMWELT

Landestierschutzver- band Nordrhein- Westfalen e. V.

 

Weiterführende Stellungnahmen/Literatur:

 

Bruhn, D. (2019): Kurzexpertise zum Referentenentwurf der Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, abrufbar Bruhn, 2019

Felde, B. (2019): Rechtsgutachten zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zu einer Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vom 27.06.2019, abrufbar Felde, 2019

Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e. V. (2019): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zur Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, abrufbar DJGT, 2019

Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt und Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz (2019): Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMEL zur Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, abrufbar ASS und Erna-Graff, 2019

Gemeinsame Stellungnahme (2019): von Bundesverband Tierschutz e.V., Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V., Deutscher Tierschutzbund, Menschen für Tierrechte, Provieh und VIER PFOTEN zum Referentenentwurf des BMEL zur Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz- Nutztierhaltungsverordnung, abrufbar Gemeinsame Stellungnahme, 2019

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V. (2019): Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMEL zur Siebten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, abrufbar TfvL, 2019

Wollenteit, U. und Lemke, I. (2013): Die Vereinbarkeit der Haltung von abferkelnden Sauen in Kastenständen mit dem Tierschutzrecht und die Zulässigkeit eines Verbots dieser Haltungsform, NuR 2013, 177 abrufbar Wollenteit und Lemke, 2013